C
D
s
|
NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
KLASSIK
Ludwig van Beethoven, Anton
Bruckner, Heinz Holliger u. a.
STREICHQUARTETTE
Zehetmair-Quartett
ECM/Universal
2
CDs_______________ [
94
]
Kurze Motivsplitter. Steil aufstei-
gende und heftig abreißende Cre-
scendi. Und kahle, beinahe nüch-
terne Klänge, selbst im langsamen
Lento. Das Zehetmair-Quartett un-
terzieht Beethovens op. 135 einer
radikalen Neuinterpretation. Hier
wird die scheinbar heile Welt des
letzten Beethoven-Quartetts scho-
nungslos zerpflückt und in ihre Ein-
zelteile zerlegt. Das klingt waghal-
sig und bisweilen schockierend
schroff. Müssen wir uns von unse-
ren Hörgewohnheiten verabschie-
den, um das zu verstehen? Oder
gehen Thomas Zehetmair und seine
Mitstreicher einfach einen Schritt
zu weit, wenn sie die Linien und Bö-
gen der Musik so spröde zerbröseln
lassen? Eins ist jedenfalls klar: Die
Aufnahme entfernt sich ganz be-
wusst aus der Komfortzone des Ver-
trauten. Auch mit ihrer Programm-
gestaltung. Die Formation verbin-
det Beethovens vermeintlich ver-
söhnliches Spätwerk mit dem sel-
ten gespielten Quartett von Anton
Bruckner und zwei Kompositionen
des 20. und 21. Jahrhunderts.
Das zweite, dem Ensemble ge-
widmete Quartett von Heinz Hol-
liger verbindet scharf konturierte
Gesten, gleißende Flageoletts und
mikrotonal gefärbte Akkorde zu ei-
ner Klangsprache, deren vielschich-
tige Komplexität sich auch in An-
spielungen auf Texte von Hölderlin
und Celan manifestiert.
Noch eindringlicher, weil emotio-
nal direkter fassbar ist das zweite
Quartett von Karl Amadeus Hart-
mann aus den Jahren 1945-46, mit
seiner Bitternis, seinem Klageton
und der wütenden Verzweiflung
über das menschliche Leid. Die
beklemmend intensive Aufnahme
des Hartmann-Quartetts hat das
Ensemble noch mit der 2011 gestor-
benen Gründungscellistin Françoise
Groben eingespielt und ihrem An-
denken gewidmet.
Marcus Stäbler
MUSIK ★
KLANG ★
Franz Liszt, Frédéric Chopin u. a.
THE CARNEGIE RECITAL
Daniil Trifonov
DG/Universal CD__________________(
79
]
Trifonov versteht es, Chopins Prélu-
des als musikalische Charakterskiz-
zen darzubieten. Das oft verkitsch-
te „Regentropfen-Prélude“ besticht
durch feine Farbwechsel und dosier-
te Agogik, und im fis-Moll-Prélude
entfacht er einen Sturm der Leiden-
schaft, wie man ihn in diesem Stück
kaum zuvor vernommen hat. Nicht
ganz gelungen ist hingegen Skrja-
bins zweite Klaviersonate. So ver-
nachlässigt der 22-Jährige im rasant
dargebotenen Prestissimo die dem
Satz Rückgrat gebende Basslinie
zugunsten der Oberstimme. Liszts
h-Moll-Sonate wiederum interpre-
tiert er mit drängender Intensität
und zugleich strukturbewusst.
mfv
MUSIK ★
KLANG ★
______________
lî I UCHIDA
Robert Schumann
KLAVIERSONATE NR. 2 U. A.
Decca/Universal CD
(
59
’)
Nach den „Davidsbündler-Tänzen“
hat Mitsuko Uchida ein weiteres
Schumann-Album herausgebracht,
das zeigt, dass sie nach wie vor zu
den tiefsinnigsten Pianisten unse-
rer Zeit gehört. In feinsten Schattie-
rungen nähert sie sich den roman-
tischen Naturskizzen der „Waldsze-
nen“, zeichnet die „Einsamen Blu-
men“ mit wunderbar gesanglichem
Ton in zartesten Farben nach und
lässt den „Vogel als Prophet“ mit
leichtem Flügelschlag von Ast zu Ast
tanzen. Ebenfalls traumwandlerisch
sicher trifft sie die religiös-feierli-
che Stimmung im ersten Stück aus
den „Gesängen der Frühe“, und ein
wahres Seelenfeuer entfacht sie im
Kopfsatz der g-Moll-Sonate.
mfv
MUSIK ★
KLANG ★
GURRE-LIEDER
Anne Schwanewilms u. a., Coral Andra Mari u. a.,
Orquesta Sinfonica de Bilbao, Günter Neuhold
Thorofon/KC
2
CDs_________________(
99
’)
Schönbergs „Gurre-Lieder“ zählen
zu den ins Erhaben-Monumentale
strebenden Prunkwerken aus der
Gründerzeit der vorletzten Jahrhun-
dertwende. Die gewaltige, kaum je-
mals übertroffene Besetzung des
Werkes mit unter anderem drei vier-
stimmigen Männerchören dient frei-
lich ebenso der Klangmassierung
wie der Klangnuancierung. Wäh-
rend etwa der berühmte melodra-
matische Abschnitt „Des Sommer-
windes wilde Jagd“ zur zartesten
Musik zählt, die Schönberg kompo-
nierte, bietet der Schlusschor „Seht
die Sonne“ eine festlich-opulente
Klangflut, die unerreicht blieb.
Mit dem Einverständnis Schön-
bergs minderte sein Schüler Erwin
Stein die erheblichen Besetzungs-
probleme des Werkes durch eine Re-
duzierung des Orchesters, die kei-
neswegs die klangliche Substanz
verfälscht. Natürlich fehlt etwas die
opulente Sonorität, aber die Vorteile
sind beachtlich: Die eindrucksvolle
thematische Erfindung Schönbergs
kann wesentlich plastischer ausge-
spielt werden, die Tempi sind flüs-
siger zu nehmen, und vor allem be-
haupten sich die Vokalsolisten bes-
ser und unangestrengter gegen die
Orchestermassen.
Freilich bietet Günter Neuhold mit
dieser Live-Aufnahme von Steins Be-
arbeitung auch eine Interpretation
wie aus einem Guss! Haben selbst
beste Dirigenten oft große Mühen,
die Klangmassen der Originalbeset-
zung zu koordinieren, so kann sich
Neuhold, bestens unterstützt vom
blendend aufspielenden Orquesta
Sinfonica de Bilbao, auf das Musi-
zieren konzentrieren. Während Jon
Fredric West als Sprecher im Melo-
dram allzu schnell ins Singen ver-
fällt, verdient unter den vorzügli-
chen Gesangssolisten Lilli Paasiki-
vi als Waldtaube gleichwohl noch
ein Sonderlob.
Giselher Schubert
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
Hans Pfitzner u. a.
KLAVIERKONZERT U. A.
Tzimon Barto, Staatskapelle Dresden, Christian
Thielemann
Profil/Naxos
2
CDs_________________(
81
]
Das Klavierkonzert von Hans Pfitz-
ner ist ein spätromantischer Koloss,
ein wenig unzugänglich und wohl
auch deshalb kaum je gespielt. Sei-
ne vier Sätze sind von großen Ge-
gensätzen geprägt, seine Einfäl-
le selten leicht nachzuvollziehen.
Doch ist das inhaltlich Disparate nur
eine Seite des Werks. Auf der ande-
ren stehen große Leidenschaften
und einige herrliche lyrische Mo-
mente, namentlich im Epilog des
ersten Satzes sowie im dritten, ei-
nem versonnenen Nachtstück.
Christian Thielemann und Tzimon
Barto geben dem Konzert in diesem
Live-Mitschnitt die angemessene
epische Breite, erzählen seine Ge-
schichten minutiös und eindrücklich
nach. Die farbenschwelgerischen
Höhepunkte in besagtem dritten
Satz werden zu bezwingenden Kris-
tallisationspunkten des Poetischen.
Gleich zu Beginn stampft das The-
ma des ersten Satzes mit schwe-
rem Schritt, verströmt sein Beetho-
ven’sches Pathos ohne falsche Zu-
rückhaltung. Das Scherzo kommt
schön kauzig. Und wie Barto sich
auf die fugierte Kadenz im Finale
einlässt, zeigt seine unbändige Lust
auf dieses technisch und gestalte-
risch so fordernde Stück.
Dass auch Max Regers „Romanti-
sche Suite“ nur Randrepertoire ist,
will nach Thielemanns Dresdner
Aufführung erst recht unverständ-
lich erscheinen. Thielemann gelingt
eine Fokussierung der Gedanken
und Hierarchisierung der Klanger-
eignisse, die dem impressionistisch
angehauchten Gewebe Transparenz
verleiht. Die Verführung der Musik
durch Farbe und Klang kommt dabei
nicht zu kurz. Wie bei Pfitzner faszi-
niert der große Atem, die Folgerich-
tigkeit, der Thielemann die forma-
len Prozesse unterzieht. Ferruccio
Busonis „Nocturne symphonique“
erklingt im selben Geist.
Andreas Friesenhagen
MUSIK ★
KLANG ★
______________
STEREO 2/2014 133
vorherige seite 132 Stereo 2014-02 lesen sie online nächste seite 134 Stereo 2014-02 lesen sie online Nach hause Text ein/aus